Xian wachte abrupt aus dem Schlaf auf. Er hatte einen schlechten Traum. Seltsam, eigentlich träumte er nie. Nicht seit er mitansehen musste, wie seine Eltern vor seinen Augen ermordet wurden. Damals war er 10 Jahre alt gewesen. Er und sein Bruder waren gerade von der Schule heimgekommen, als sie mehrere fremde Männer im Wohnzimmer stehen sahen. Xian fand später heraus, dass seine Eltern den Männern Geld schuldeten. An diesem Tag waren sie gekommen um die Schulden einzutreiben. Aber Xians Eltern waren so arm, dass sie nicht annähernd genug besaßen, um die Schulden begleichen zu können. Also entschieden sich die Männer dazu sie zu töten und mit ihren Organen Geld zu verdienen.
Xians jüngerer Bruder brach in Tränen aus als er mitansehen musste, wie ihre Eltern von den Männern geköpft wurden. Xian hingegen schaute stumm zu. Er wollte wegschauen doch er konnte seinen Blick nicht von der blutigen Szene abwenden.
Erst lange nachdem die Männer gegangen waren wurde Xian gewaltsam von Polizeibeamten weggezogen.
Er und sein Bruder waren nun Waisenkinder. Außer ihren Eltern hatten sie keine Verwandten. Also schickte man sie in ein Heim und sie mussten in Therapie gehen, wo ihnen geholfen wurde den Schock besser zu verarbeiten.
Nao, Xians jüngerer Bruder, erholte sich relativ schnell. Xian hingegen nicht. Sein Therapeuter meinte das der Vorfall bei Xian eine Gehirnstörung hervorgerufen hat und er nun nicht mehr in der Lage ist Gefühle zu empfinden.
So ganz stimmte das jedoch nicht. Wann immer Xian seinen Bruder ansah empfand er einen hauch Erleichterung, dass er nicht seine gesamte Familie verloren hatte. Der letzte Rest seiner Gefühle.
Als Xian nun aus dem Schlaf schreckte, war das erste was er tat sich nach deinem Bruder umzusehen. Er lag in dem Bett neben ihm wie immer. Gut. Xian atmete langsam wieder aus. Er hatte geträumt, dass riesige Insekten und andere Monster Menschen auffraßen. In diesem Chaos hatte er nach seinem Bruder gesucht, konnte ihn jedoch nirgens finden.
Xian war nun 17 Jahre alt. Mit 18 Jahren mussten die Kinder das Heim verlassen. Nao war jedoch erst 16. Xian fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass sein kleiner Bruder ein Jahr allein im Heim verbringen muss. Nicht weil sich sein Bruder einsam fühlen könnte, sondern weil viele Kinder im Heim gewalttätig zu anderen waren. Xian zählte auch dazu. Wann immer jemand seinen Bruder oder ihn schikanieren wollte oder auch nur schlecht über sie redete, schlug sie Xian so lange bis sie bewusstlos waren. Nao war mit dieser brutalen Vorgehensweise zwar nicht einverstanden, akzeptierte es jedoch bald. Schließlich musste sich Xian außerhalb des Heims ebenfalls verteidigen können. Wie der Zufall es wollte lebten sie nämlich in der Stadt mit der höchsten Kriminalität der Welt. Hier stand ein Mord oder Raubüberfall fast schon an der Tagesordnung. Jeder der hier lebte wohnte nur hier weil er zu wenig Geld hatte um wegzuziehen. Das führte dazu, dass die Bevölkerung der Stadt verarmte. Das sah man vorallem an den Gebäuden in der ganzen Stadt. Alle Häuser wurden mit der billigsten Bauweise gebaut und die meisten waren schon älter oder sogar baufällig.
Auch hier im Waisenhaus konnte man an vielen Stellen sehen, dass das Gebäude schon sehr alt war und eigentlich schon längst hätte renoviert werden müssen.
Plötzlich ertönte ein lauter Pfeifton im Schlafsaal und weckte die anderen Kinder.
Jeden Morgen wurden sie so geweckt. Nun mussten sie sich beeilen, um nicht zu spät zum Frühstück zu kommen. Im Waisenhaus gab es aktuell 542 Kinder. Der Direktor des Heims bestellte jedoch immer nur 500 Rationen Essen um Geld zu sparen. Wenn man also nicht schnell genug war, bekam man nichts mehr und musste den Tag ohne Frühstück beginnen.
Als Xian vom Bett aufstand und auf die Zimmertür zuging, wichen alle anderen Kinder vor ihm zurück. Er hatte sich bei ihnen im Laufe der Jahre den Status eines psychisch kranken Schlägers verdient, der jeden der ihn stört bewusstlos schlägt. Kein Wunder also das alle vor ihm zurück wichen. Niemand traute sich ihn dierekt anzuschauen. Doch Xian konnte es spüren. Unter ihrer Angst vor ihm verbarg sich Hass. Und dieser Hass würde sich gegen seinen Bruder richten sobald er nicht mehr da war. Er musste irgendwie einen Weg finden, wie er seinen Bruder vor den anderen schützen konnte ohne selbst anwesend zu sein.
Während er weiter über eine Lösung nachdachte, lief er durch einen langen Flur, bis dieser vor einer großen Doppeltür endete. Dahinter befand sich der Saal mit der Essensausgabe. Die Tür war schon ziemlich kaputt. Vorallem eine große Delle auf der rechten Seite war auffällig. Xian hatte sie verursacht, nachdem er den Kopf des zweit stärksten Jungen im Heim dagegen gerammt hatte. Man konnte immer noch einen leicht verwischten Blutfleck ausmachen. Offenbar hatte sich niemand die Mühe gemacht es wegzuwischen.
Der Korridor war sehr eng, weshalb alle Kinder hintereinander gehen mussten. Ganz vorne stand Xian, hinter ihm sein Bruder und die anderen hinter ihnen hielten zwei Meter Abstand von ihnen.
Gerade als Xian die Tür öffnen wollte geschah etwas ungewöhnliches. Plötzlich gingen alle Lichter im Korridor aus. An sich war das eigentlich nicht wirklich ungewöhnlich, denn hier kam es öfters zu Stromausfällen, aber Xian konnte es spüren. Mit der Dunkelheit wurde es gleichzeitig kalt. Das war seltsam, denn in dem Korridor gab es eigentlich keinen Luftstrom. Und dann passierte etwas wirklich verrücktes: Vor allen Kindern öffnete sich plötzlich ein blaues, halbtransparentes Fenster mitten in der Luft! Sie schwebten vor ihnen und bewegten sich mit ihnen, wenn sie sich bewegten.
Xian starrte auf sein Fenster. Darauf stand geschrieben:
[Der Planet Erde ist nun in die 2. Phase eingetreten. Herzlichen Glückwunsch, du bist nun ein erwachtes Wesen!]