Ficool

Chapter 2 - Haruka & die Schatten (Ger)

Ich aß meine Portion auf – widerwillig – und trat vorsichtig wieder aus dem Café.

Die Leute draußen sahen mich seltsam an. Verstört fast.

Ich fragte mich, ob sie sich wohl denken, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe.

Haben sie recht?

Wäre mir neu, wenn ich sie je alle gehabt hätte.

Ich redete mir selbst ein, dass ich mir das alles nur vorstelle – dass ich paranoid bin.Der Weg zum Bahnhof war begleitet von lauter Musik und leeren Gedanken. Ich war so geistesabwesend, dass ich fast an jemandem vorbeigelaufen wäre…

… jemandem, den ich sofort wiedererkannte.

Haruka.

Meine beste Freundin aus der Schulzeit.

Aus der Kindheit.

Kaum hatte ich realisiert, wer vor mir stand, konnte ich nicht anders:

Ich grinste über beide Ohren.

Ein plötzlicher Überschwall aus Glücksgefühl überrannte mich und ließ all die Angst, die mich noch eben gefesselt hatte, für einen Moment verschwinden.

Aber – wie so oft – hielt das Gefühl nicht lange.

Eine Stimme in meinem Kopf meldete sich, die mich immer wieder zurückzieht.

Sie flüsterte: „Das ist viel zu schön, um wahr zu sein. Warum glaubst du, dass du das verdienst?“

Haruka.

Ihr Name hallte in meinem Kopf.

Wie könnte ich sie je vergessen?

Sie hat mein Leben geprägt – auf eine Art, die ich kaum in Worte fassen kann.

Es gab auch negative Momente, klar.

Aber wenn ich ehrlich bin, erinnere ich mich heute fast nur noch an das Gute.

An ihr Lächeln. Ihre Art.

Und dann – das Schicksal oder was auch immer – sie ist wie ich: lesbisch.

Sofort wurde die Stimme in meinem Kopf wieder lauter.

Misstrauen. Zweifel. Selbstverachtung.

Ich war damals interessiert an ihr – früher.

Diese alten Gefühle waren noch immer da aber ich behielt es für mich.

Ich wünschte, ich könnte es ihr sagen aber ich kann nicht…

Wie soll ich da mithalten?

Ich sah mich nie als jemanden, den man „haben wollen“ könnte.

Nicht als jemanden, der interessiert oder irgendwie besonders wäre.

Ich bin zwar einzigartig auf meine weise – das ja –

aber ich vertraue mir nicht.

Selbstbewusst? Nicht mal ansatzweise.

Kaum sehe ich sie wieder, fühle ich mich klein und bedeutungslos.

Unsichtbar neben ihr.

Ich stehe in ihrem Schatten – einem riesigen, bewunderten Schatten.

Sie ist nur ein Jahr älter, aber sie wirkt so viel erwachsener.

Sie weiß, was sie will.

Weiß, wie man Eindruck hinterlässt.

Wie man sich kleidet, wie man lebt.

Und ich?

Ich verberge mich in übergroßen Klamotten.

Überlasse alles dem Zufall.

Ich gab ihr meine Nummer – mit leiser Hoffnung, dass wir uns wiedersehen.

Nicht, dass ich glauben würde, dass man mich gern um sich hat…

Ich bin eher die stille Freundin.

Die, die bei Partys nüchtern bleibt und fährt.

Die auf alle aufpasst. Die sich anpasst.

Aber nie wirklich dazu gehört.

Trotzdem: Unsere Zeit war schön.

Kurz, aber schön.

Ich begleitete sie zum Shoppen, gingen essen und ging mit zum Reden – währenddessen erzählte sie von sich und fragte mich aus über mein Leben, meine Augen funkelten wahrscheinlich für sie.

Hoffentlich sah sie es nicht.

Und doch… ich hatte das Gefühl, dass meine Augen mehr verrieten,

als ich selbst zugeben wollte.

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Abends, als ich nach Hause fuhr,

durfte ich wie immer Zug und Bus fahren –

diesmal später als sonst, aber wenigstens mit einem angenehmeren Gefühl.

Während der ganzen Fahrt dachte ich an sie.

An Haruka.

Und währenddessen sprach die Stimme in meinem Kopf unaufhörlich auf mich ein:

„Mach dir keine Hoffnungen. Tu’s nicht. Es endet eh wie immer.“

Und ich glaubte ihr.

Langsam.

Widerwillig.

Aber ich glaubte ihr.

Was will man auch mit jemandem wie mir?

Ein Elektronik-Freak.

Jemand, der sich von der Welt abschottet.

Keine Beziehungserfahrung.

Angst vor Körperkontakt.

Versteckt unter Kapuzen und langen Ärmeln.

Was soll daran anziehend sein?

Wenn ich in den Spiegel sehe, will ich ihn am liebsten umdrehen.

Aber das kann ich nicht.

Weil ich ihn leider Gottes brauche.

Wie immer lenkte ich mich ab:

Zocken.

Darkweb.

Abschalten.

Flüchten.

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Dann… mein Handy klingelt.

Unterdrückte Nummer.

Ich schalte es stumm – wie immer, wenn jemand denkt, er wäre witzig.

Dann klingelt es wieder.

Und noch einmal.

Und noch ein viertes Mal.

Was zur Hölle?!

Plötzlich – mein Laptop beginnt zu klingeln.

Ein Anruf.

Ich bin heilfroh, dass ich meine Kamera abgeklebt habe.

Am Handy auch.

Ich bin doch nicht paranoid –

ich bin vorsichtig.

Ich drücke den Anruf weg.

Dann klingelt wieder mein Handy.

Und plötzlich macht es klick.

Ich war im Darkweb nicht vorsichtig genug.

Ich wurde gefunden.

Jemand hat mich tatsächlich verfolgt.

Jemand… verfolgte mich und fand mich.

Ich nehme zögerlich ab.

Was ich höre, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

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Schweres Atmen.

Kein Wort – eine Minute lang.

Dann… haucht eine Stimme ins Mikro:

> „Ich bin nicht mehr weit... Ich komme dich hoooolen...~“

Ich kann nicht einmal sagen, ob es ein Mann war oder eine Frau.

Mir stellen sich die Nackenhaare auf.

Mein Herz hämmert.

Mich holen? Was? Wie? Warum?!

Woher hat diese Person meine Nummer?!

Was will sie von mir?

Ich halte es nicht mehr aus.

Ich fühle mich nicht mehr sicher.

Ich schnappe meine Sachen.

Und flüchte – aus dem Fenster.

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